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rezensionen

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kurzrezension

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blu-ray

Endspiel

Blut an den Lippen

Für eine herausragende Bluray-Edition (sehr gute Bildqualität und überzeugendes Bonusmaterial) wird dieser Bluray der Gipfel verliehen.

 

Blut an den Lippen

Der belgische Regisseur Harry Kümel gehört zu den Filmemachern, dessen Anfang der 1970er Jahre entstandene Werke „Blut an den Lippen“ oder auch „Malpertuis“ (Belgien/Frankreich/BRD 1971) seinerzeit gerne als minderwertig abgetan wurden. Dank des Labels Bildstörung kann man die Vampirgeschichte „Blut an den Lippen“ nun einer Neubewertung unterziehen.
Die beiden frisch verheirateten Stefan (John Karlen) und Valerie (Danielle Ouimet) befinden sich auf dem Weg nach England, wo Stefan seine Mutter mit Valerie bekannt machen will. Sie stranden jedoch zunächst im winterlichen Ostende, weil sie das Schiff über die Nordsee verpassen. Als einzige Gäste genießen sie die absurd wirkende Atmosphäre des mondänen Strandhotels, bis die exzentrisch wirkende Gräfin Elizabeth Bathory (Delphine Seyrig) mit ihrer Bediensteten Ilona (Andrea Rau) eintrifft. Der Portier (Paul Esser), der seit seiner Jugend in dem Hotel arbeitet, ist überrascht, dass die Gräfin noch genauso frisch wie vor vierzig Jahren aussieht. Bathory behauptet, mit ihrer Mutter verwechselt zu werden. Gemeinsam mit Ilona verwickelt sie das Pärchen in ein Spiel aus erotischen Versprechen, dessen Mischung aus Dominanz und Jovialität unwiderstehlich wirkt.

Kümel entwirft ein Kino der Atmosphäre und Bilder, das als eigentliche Erzählung die teilweise trivial anmutende Geschichte in den Hintergrund drückt. Deswegen wird eine Aufzählung einzelner Motive wie der Auspeitschung Valeries oder lesbischer Sinnesfreuden dem Film nicht gerecht. Sie haben allerdings dazu beigetragen, dass „Blut an den Lippen“ damals kritisch aufgenommen wurde, denn Anfang der 1970er Jahre taugten sie als Tabubruch. Heute verstellen sie nicht mehr flächendeckend den Blick auf die visuelle Meisterschaft Kümels, die Morbidität, Lust und Verführung vereint.
Die mondäne Atmosphäre des prachtvollen Hotels, dessen Luxus aus vergangener Zeit mit großzügigem Schmuckwerk überwältigt, verweist ohne wuselnde Gäste ganz deutlich auf den Schick der Vergangenheit. So schön es auch ist, so sehr erzählt das Bauwerk aufgrund der historischen Dimension von der Möglichkeit des Verfalls, die angesichts der Leblosigkeit der Blut an den Lippen Wintersaison eingetreten zu sein scheint. Düstere Schattenbilder der nächtlichen Außenfassade, das an melancholische Sehnsüchte gemahnende Meer und die zeitweise hereinbrechende Gewaltigkeit einzelner Unwetter verstärken die morbide Atmosphäre. Stefan und Valerie sind an einem Ort gestrandet, der aus allen Poren „Endspiel“ schreit. Denn die Kraft, die von Wetter, Pracht und der Wassergrenze ausgeht, die ohne Hilfsmittel nicht überwunden werden kann, legt sich über das Paar, das dadurch förmlich bedrängt wird. Der Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt, der mit einer Heirat verbunden ist, erreicht seine Grenzen. Und wenn der scheinbar vorgezeichnete Weg, der aufgrund einiger Geheimnisse um Stefan ohnehin unklar gewesen ist, zum Stillstand kommt, dann erweitert sich der Raum für neue Erfahrungen.
Die ikonografisch an Marlene Dietrichs Optik angelehnte Gräfin Bathory lädt Stefan und Valerie ein, diese zu machen. Mit verführerischen Blicken, freundlichen, aber keinen Widerspruch erlaubenden Einladungen und ihrer strengen erotischen Ausstrahlung sorgt sie dafür, dass Stefan und Valerie endgültig in Ostende gefangen sind. Die Gräfin, die bei stürmischem Wetter im Hotel eintrifft, ist ein Teil der atmosphärischen Kräfte, denen sich das Paar nicht entziehen kann. Ihr Stillstand entwickelt eine metaphorische Nähe zum Tod, während die grellen Reize aus Farben und sexuellem Versprechen eine seltsame Mischung aus Lebenslust und Gefahr erzeugen. „Blut an den Lippen“ reflektiert über die Nähe zwischen dem menschlichen Wunsch nach Vergnügen und dem Risiko, das diesem innewohnt. Sex und Todessehnsucht gehen eine atemberaubende Liaison ein, die vor allem im berauschenden Stil aufgehoben ist.
Kümel verleiht den seltsamen Widersprüchen der menschlichen Existenz ein opulentes Gesicht, in dem man sich auch als Zuschauer verlieren kann. Der Film selbst entfaltet eine magische Verführungskraft, die sich in den Erlebnissen der Figuren widerspiegelt. Daraus entsteht eine perfekte Einheit, deren harmonische Urgewalt seinesgleichen sucht.

Bildqualität

Die Bluray gibt die atemberaubende Schönheit der visuellen Kompositionen sehr gut wieder. Das leichte Filmkorn trägt zur Erhaltung der Textur bei, während die saubere Vorlage mit sehr guter Schärfe wiedergegeben wird. Besser kann man den Film, der ein paar Jahre auf dem Buckel hat, nicht präsentieren. Die kräftigen Farben sorgen dafür, dass die Atmosphäre der Bilder so gut wie nie zuvor zutage tritt. Der ausgewogene Kontrast hat keine Probleme mit dunklen wie hellen Bildern. Eine durchgehend exzellente Bildqualität.

Tonqualität

Die 2.0-Mono-Tonspuren können ebenso überzeugen. Klare Dialoge und eine gut zur Geltung kommende Musik unterstützen die visuelle Wirkung des Films tatkräftig. Die Szenen, für die keine deutsche Synchronisation vorliegt, sind nur im Original mit deutschen Untertiteln enthalten. Das gilt auch für Szenen, bei denen die deutsche Fassung Sinn verändernd wirkt. Eine Schrifttafel zu Beginn des Films appelliert deswegen ohnehin, sich die Originalfassung anzusehen.

Extras

Blut an den Lippen

Im hörenswerten Audiokommentar geht Regisseur Harry Kümel sehr genau auf einzelnen Gestaltungselemente wie die Farbkomposition ein und erläutert, wie er sie eingesetzt hat. Informationen über die Drehorte sowie die Arbeit mit den Darstellern ergänzen Kümels Ausführungen, der nicht verbergen kann, dass er von sich selbst eingenommen ist. Obwohl er sich oftmals selbst lobt, bleibt er sympathisch, weil er immer reflektiert bleibt und meistens auch nachvollziehbare Begründungen parat hat. Mit seinem persönlichen Filmgeschmack hält er auch nicht hinter dem Berg. Mein Lieblingssatz bewertet das filmische Schaffen Ingmar Bergmanns, der Filme für Priester und Kritiker gedreht habe.
Auf einer Bonus-DVD befindet sich die deutsche Kinofassung des Films, die von der Originalfassung deutlich abweicht. Der Film wurde teilweise umgeschnitten, sodass beispielsweise durch die Verlegung der Schlussszene an den Anfang des Films eine völlig neue Handlungsdeutung entstanden ist. Die Synchronisation hat den Film entschärft und manche Szenen sind der Schere komplett zum Opfer gefallen. Aus filmhistorischer Sicht ist diese Fassung sehr spannend.
Das etwa 27-minütige Interview mit Harry Kümel umfasst den filmischen Werdegang des Regisseurs von den Anfängen als Kind bis zu „Malpertuis“, der im selben Jahr wie „Blut an den Lippen“ entstand. Kümel schildert anschaulich erste Gehversuche mit der Kamera seines Vaters, die ihn schließlich zu einem Filmklub und von dort zum Fernsehen brachten. Außerdem äußert er sich noch über die digitale Bearbeitung von „Blut an den Lippen“ für die HD-Version, die das Werk seiner Ansicht nach gegenüber der früheren Filmversion sogar verbessert hat. Dieser Abschnitt ergänzt entsprechende Informationen, die Kümel bereits im Audiokommentar mitgeteilt hat. Ein gutes Interview, das den Filmemacher ein Stück näher bringt.
Eine kommentierte Bildergalerie, bei der Kümel ein paar wissenswerte Hintergründe nennt, eine Galerie mit Aushangfotos, ein Trailer, ein Radiospot und der Titelsong der amerikanischen Fassung sind ebenfalls enthalten.
Das 16-seitige Booklet enthält zwei Texte zu Kümels Werk, die einen größeren Wert auf die Möglichkeiten der eigenen sprachlichen Fabulierkunst legen.

Fazit

„Blut an den Lippen“ weiß um die Kraft der Bilder, mit denen sich vortrefflich verführen lässt. Schönheit und Morbidität wecken die Sehnsucht nach lustvollem Vergnügen und Tod. Technisch ist die Bluray ausgezeichnet.

Stefan Dabrock

04.06.2013

   
Originaltitel Les lèvres rouges (Belgien/Frankreich/BRD 1971)
Länge 100 Minuten (24p)
Studio Bildstörung
Regie Harry Kümel
Darsteller Delphine Seyrig, John Karlen, Danielle Ouimet, Andrea Rau, Paul Esser, u.a.
Format 1:1,66 (16:9)
Ton 2.0 Mono Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Alternative deutsche Kinofassung des Films, Audiokommentar von Harry Kümel (Regie), US-Radiospots, u.m.
Preis ca. 20 EUR
Bewertung sehr gut, technisch ausgezeichnet