Tote Gesellschaft

Gewalt und Leidenschaft

Ein amerikanischer Kunstprofessor bewohnt einen alten Palazzo in Rom. Zurückgezogen beschäftigt er sich mit seiner Leidenschaft, der Kunst. Eines Tages taucht plötzlich eine wohlhabende Marchesa auf, welche die leer stehende Wohnung im oberen Teil des Palazzos für ein Jahr mieten will. Der Professor lehnt zunächst ab, lässt sich aber schließlich doch in eine Vermietung hinein manipulieren. Fortan hat er nicht nur die Marchesa, sondern auch ihren jungen Liebhaber sowie deren Tochter und Freund im Haus. Die neuen Bewohner sind alles andere als ruhig. Ihre offenherzige, offensive Art strahlt eine geradezu gewalttätige Vereinnahmung aus, welche auf die Einsiedelei des Professors trifft. Tote Gegenstände und vergangene Epochen haben das Leben des Professors in letzter Zeit geprägt. Er hat sich aus der Gesellschaft der Lebenden zurückgezogen, die nun mit aller Macht sein Territorium besetzen. Der aufdringliche Stil der Marchesa samt Anhang reißt ihn aus der Ruhe, in die er sich eingerichtet hat. Visconti demonstriert auf eindrucksvolle Weise die Waffenlosigkeit des Professors, der den Umgang mit Menschen verlernt hat. Er steht metaphorisch für eine intellektuelle Haltung, die einem gesellschaftlichen Ausstieg den Vorzug gegenüber einer Auseinandersetzung mit ihren Kräften gibt. Der forschen Art hat er nichts entgegenzusetzen. Der vermietete Teil des Palazzos wird entgegen der Mietvereinbarung wesentlich stärker umgebaut, ständig tauchen die Mieter in seiner Wohnung auf. Visconti füttert die Zeichnung der Marchesa-Familie mit einer Fülle von gesellschaftlichen Anspielungen. Der junge Liebhaber der Marchesa wird durch ständige Gerüchte in Verbindung mit linksradikalen Kräften gebracht, während die Marchesa und damit ihr Reichtum in Bezug zum Faschismus gesetzt werden. Hier treffen sich Extremismus im Zuge der 68er-Bewegung und der braune Schatten der Vergangenheit auf engstem Raum. In einer Szene nimmt sich der Professor des verprügelten Liebhabers der Marchesa an und bringt ihn in einem geheimen Zimmer innerhalb seiner Wohnung unter, das bereits Juden während des Faschismus als Zuflucht diente. Die offensichtliche Analogie stellt eindeutige Fragen hinsichtlich gesellschaftlicher Verantwortung, der man sich gerade als Intellektueller nicht entziehen darf, da man sonst schwach und kraftlos wird. Während der Professor hoffte, es sich in seiner Ruhe gemütlich machen zu können, wird er eines anderen belehrt. Die Gesellschaft mit all ihren Konflikten tummelt sich ungefragt in seinem Reich. Die intellektuelle Flucht ist keine Lösung, sondern sorgt für Angriffspunkte, denen die Gesellschaft hilflos ausgeliefert ist. "Gewalt und Leidenschaft" ist Viscontis Appell für eine intensive Auseinandersetzung mit den drängenden Aspekten des Zusammenlebens. Die Flucht ist ein Fehler.

Bildqualität

Erneut hat Koch Media aus einem alten Klassiker das Mögliche herausgeholt. Die Schärfe ist gut geraten, nur in wenigen Szenen fällt sie ein wenig ab. Lediglich die Detailintensität leistet sich Schwächen. Die Farben sind kräftig und geben das opulente visuelle Konzept Viscontis sehr gut wieder. Der Kontrast bietet weitgehend gute Qualität, nur hier und da überstrahlen helle Flächen ein wenig. Einziger etwas deutlicher sichtbarer Schwachpunkt ist das stetige Bildrauschen. Dennoch muss darauf hingewiesen, dass Koch Media ganze Arbeit geleistet hat, um den Film in seiner vollen Schönheit auf DVD zu präsentieren.

Tonqualität

Die Mono-Tonspuren bieten gute Mono-Qualität. Die Dialoge sind klar und verständlich, sie neigen auch nicht zu besonders hörbaren Verzerrungen oder ähnlichem. Auch das Rauschen hält sich zurück, so dass man zufrieden sein kann.

Extras

Beim Bonusmaterial fällt besonders das etwa 23minütige Interview mit Helmut Berger auf, in dem der Schauspieler über seine Beziehung zu Visconti, seine Arbeit in der italienischen und internationalen Filmindustrie sowie Viscontis Filme spricht. Neben biographischen Anmerkungen kommt auch der vorliegende Film "Gewalt und Leidenschaft" in den Ausführungen vor, mit dem Berger übrigens nicht besonders warm geworden ist. Ein sehenswertes Interview.
Trailer, eine Bildergalerie und das 14seitige Booklet mit einem Text von Fritz Göttler runden die DVD ab.

Fazit

Luchino Visconti reflektiert in "Gewalt und Leidenschaft" souverän über gesellschaftlichen Rückzug und Verantwortung, über Leben und Tod sowie über Gemeinsamkeiten im Gegensätzlichen. Opulente Bilder und sehr gute Darsteller machen den Film zu einem großen Werk. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Gruppo di famiglia in un interno (Italien 1974)
Länge 117 Minuten (Pal)
Studio Koch Media
Regie Luchino Visconti
Darsteller Burt Lancaster, Helmut Berger, Silvana mangano, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DD 2.0 Mono Deutsch, Englisch, Italienisch
Untertitel Deutsch
Extras Interview mit Helmut Berger, Bildergalerie, Trailer
Preis ca. 17 EUR
Bewertung sehr gut, technisch gut