Gefangen im Betonlabyrinth

Haze

Der japanische Regisseur Shinya Tsukamoto ist für seine ungewöhnlichen, teilweise verstörenden Filme „Tetsuo“, „Tokyo Fist“ oder „Bullet Ballet“ bekannt. Zuletzt war das 2002 gedrehte fetischisierte Sex-Drama „A Snake of June in den deutschen Kinos zu sehen. Mit „Haze“ taucht Tsukamoto, der auch die Hauptrolle übernommen hat, in ein Betonlabyrinth ein. Hier wacht der Protagonist ohne jede Erinnerung an die kürzliche Vergangenheit auf. Er weiß nicht, wie er hierhin gekommen ist. Der Gang, in dem er sich befindet, ist so eng, dass er sich gerade fortbewegen kann. Während er noch überlegt, wer für die Situation verantwortlich sein könnte, sieht er durch ein kleines Loch, wie im Nebenraum Menschen getötet werden. Immer gehetzter sucht der Gefangene einen Ausgang, durch den er der klaustrophobischen Enge entkommen kann. Aber im Labyrinth lauern diverse Gefahren.

Tsukamoto inszeniert die Enge des völlig lebensfeindlichen Betonlabyrinths mit großer Intensität. Der erste Gang, in dem die Hauptfigur erwacht, formt genau die menschlichen Umrisse nach. In der Decke ist eine Aussparung für den Kopf, stufenartig senkt sich der Beton über die Schultern herab, bis die Seitenwand schließlich senkrecht weiterläuft. Der Gang scheint nur zu dem einen Zweck erschaffen zu sein, einem Menschen gerade soviel Bewegungsfreiheit zu bieten, dass er vor und zurück gehen kann. Zur Seite hingegen ist alles verbaut. Die genaue Passform nährt die Phantasie, dass irgendeine perverse Absicht hinter dem unwirtlichen Gefängnis steckt. Als Zuschauer ist man auf demselben Wissensstand wie die Hauptfigur, mit der man zusammen die immer unerträglicher werdende klaustrophobische Situation durchlebt. Gespenstische Toneffekte verstärken die Atmosphäre ebenso wie die auftauchenden Qualen, denen sich der Protagonist ausgesetzt sieht. Nach kurzer Ohnmacht umfassen seine Zähne eine rostige Stange, die an der Wand eines Ganges entlang führt. Sein Mund ist bis zur Maulsperre gedehnt und nach hinten wird sein Kopf durch die Rückwand eingezwängt, so dass er nur versuchen kann, seitlich bis zum Ende der Stange zu gehen.

In der Dunkelheit des Gefängnisses kann die Hauptfigur kaum etwas sehen. Umso mehr versucht er, mit Hilfe seines wachen Geistes die Situation auszulösen. Ist ein Krieg an der Oberfläche oder das Spiel eines reichen Perversen der Grund? Tsukamoto führt den Menschen in „Haze“ an die Grenze seiner körperlichen Existenz. Je weniger er sich physisch bewegen kann, desto beweglicher wird sein Geist. Der eigentliche Film spielt sich deswegen nicht auf dem Bildschirm ab, sondern in der Phantasie. Mit geringen Mitteln erzählt Tsukamoto wahlweise einen bizarren Thriller, eine Endzeitgeschichte oder ein Liebesdrama. Was nicht zu sehen ist, wird durch das Bewusstsein des Menschen lebendig. „Haze“ macht die Strukturierungsprozesse des menschlichen Gehirns erfahrbar, die in Grenzsituationen das Überleben sichern. Gleichzeitig reflektiert er über die Mechanismen der genannten Genres, die nicht zufällig als Lösungsmöglichkeiten erscheinen. Wenn keine Geschichte da ist, dann konstruiert man sie sich selbst. „Haze“ führt jeden einzelnen auf sein persönliches Bewusstsein und seine erzählerische Phantasie zurück. Dadurch ist der Film ein brillantes Selbsterfahrungsinstrument geworden.

Bildqualität

Der auf Digitalvideo gedrehte Film erstrahlt erwartungsgemäß ohne Defekte oder Verschmutzungen auf der DVD. Die Schärfe ist gut bis angenehm. Farben, Kontrast und Schwarzwert stehen ganz im Dienst der klaustrophobischen Atmosphäre, die möglichst düstere, reduzierte Bilder verlangt. Rauschmuster gibt es nicht.

Tonqualität

Der japanische 2.0-Ton bietet eine gute Qualität. Die atmosphärisch notwendigen Soundeffekte sorgen für eine intensive Grundstimmung innerhalb des Labyrinths. Rauschen gibt es nicht. Wer möchte, kann sich auch einen deutschen 5.1-Upmix anhören.

Extras

Das Making Of (ca. 24 Minuten) ist wie bei den meisten japanischen Filmen als Produktionsprotokoll gestaltet. Nach Tagen gegliedert folgt die Dokumentation dem Bau der Kulissen sowie der Dreharbeiten. Während ersteres auch ohne Erläuterungen ganz interessant ist, wird das Making Of mit zunehmender Dauer immer langweiliger, da nur noch unkommentierte Setaufnahmen zu sehen sind. Die Ausführungen der Beteiligten beim Dreh wurden zwar untertitelt, aber das sorgt auch nicht für eine gute Aufbereitung des Materials.

Das Interview mit Shinya Tsukamoto (ca. 20 Minuten) behandelt die Intention hinter „Haze“ und geht auf die Projektentwicklung und Tsukamotos Verhältnis zur digitalen Technik ein. Insgesamt ein sehr gutes Interview, da Tsukamoto genau weiß, was er bei seinen Projekten vorhat und sich auch darüber hinaus mit der technisch-künstlerischen Seite des Filmemachens auseinandersetzt. „Kaori Fujii in Locarno“ (ca. 16 Minuten) vereint Interviewsequenzen mit Bildern von der Filmpremiere und folgt der Schauspielerin sowie Shinya Tsukamoto bei einem Asuflug in Locarno. Der kleine Film verschmilzt persönliche Erinnerungen Fujiis mit Interpretationen über „Haze“ zu einem interessanten Zustandsportrait der Schauspielerin, das auch ihre Erinnerungen an den Besuch in Locarno anlässlich der Vorführung von „Tokyo Fist“ beinhaltet. Der Trailer rundet das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Haze“ ist existenzialistisches Experimentalkino mit klaustrophobischem Spannungsaufbau, das den Zuschauer auf sein eigenen Bewusstsein und seine eigene Phantasie zurück wirft. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Haze (Japan 2005)
Länge 48 Minuten (Pal)
Studio Rapid Eye
Regie Shinya Tsukamoto
Darsteller Shinya Tsukamoto, Kahori Fujii, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DTS Deutsch, DD 5.1 Deutsch, DD 2.0 Japanisch
Untertitel Deutsch
Extras Making Of, Interview mit Shinya Tsukamoto, u.m.
Preis ca. 20 EUR
Bewertung sehr gut, technisch gut