Kampf mit den Dämonen

Intimate Enemies

Intimate EnemiesDer Abspann des Films klärt darüber auf, dass Frankreich erst 1999 akzeptierte, dass es sich bei den bewaffneten Auseinandersetzungen der Jahre 1954 bis 1962 in Algerien um einen Krieg handelte. Offiziell wurden die Kämpfe bis dahin stets als Polizeieinsatz gewertet. Knapp zehn Jahre nach diesem Eingeständnis ist die Thematik in Frankreich ohne Zweifel immer noch ein heißes Eisen, das Regisseur Florent Emilio Siri („Das Ende der Geduld“ - 1998, „Das tödliche Wespennest“ - 2002, „Hostage“ - 2005) in seinem Film verarbeitet. Er nutzt dafür eine klassische Dramaturgie, in deren Zentrum der neu in Algerien eingetroffene Offizier Terrien steht. Terrien glaubt noch an die französische Propaganda, die im Heimatland über den Einsatz verbreitet wird. Für ihn dienen die Auseinandersetzungen dem Schutz der algerischen Bevölkerung gegen eine brutal zu Werke gehende Befreiungsarmee FLN. Dougnac, der schon länger als Offizier Teil des Krieges ist, weiß bereits, dass das nicht stimmt. Während er gelernt hat, die Brutalität nicht an sich heranzulassen, muss Terrien bei den Kommandoeinsätzen, die vom Lager in den Bergen ins umgebende Sperrgebiet durchgeführt werden, feststellen, dass seine Ideale einer ehrenvollen französischen Armee nichts wert sind. Immer tiefer gerät er in den Sog der Grausamkeiten hinein, die sowohl auf Seiten der FLN als auch der französischen Armee an der Tagesordnung sind.

Terrien ist die zentrale Figur des gesamten Films, da die Geschichte zum einen aus seiner Sicht erzählt wird und in seiner charakterlichen Entwicklung zum anderen der inneren Kampf der Kriegssoldaten am deutlichsten zu Tage tritt. Zwei Schlüsselszenen sorgen endgültig für den Verlust Terriens geistiger Unschuld. Mit seiner Einheit marschiert er in ein Dorf ein, das verlassen zu sein scheint. In einer Hütte entdeckt er schließlich die Intimate Enemiesaufeinanderliegenden Leichnahme der Dorfbewohner, durch die FLN massakriert. Siri zeigt erst den Raum in einer Gesamtaufnahme, um dann einzelne Details herauszuheben, die sich als Bilder des Grauens in Terriens Hirn einbrennen. Durch die explizite Schnittfolge erzeugt Siri eine Dynamik der Barbarei, die den Entwicklungsprozess in der Psyche Terriens erfassbar macht. Die Aufnahme aufgerissener Augen hat eine viel stärkere Wirkung als die wesentlich abstraktere Darstellung des Gesamtbildes. Die Schnitttechnik reflektiert deswegen nicht nur Terriens Warnehmung, dessen Hirn direkt angegriffen wird, sie erzählt auch etwas über den Krieg, der in seiner Gesamtsicht eine oftmals banale Gewalt ausstrahlt, die erst in den Details unerträglich wird. Terrien kommt an einen Punkt, an dem die Möglichkeit der Ausblendung zusammenbricht.

Die andere Schlüsselszene zeigt die französische Einheit, die das Resultat eines Napalm-Angriffs gegen die FLN begutachten. Die verkohlten Leichen strahlen kaum noch menschliche Züge aus, sie sind quasi ausgelöscht. Den Feinden wird durch den französischen Angriff die Menschlichkeit genommen, so dass sich ein ebenso unmenschliches wie gespenstisches Bild des Krieges zeigt. Terrien wird stellvertretend auf sich selbst zurückgeworfen. Die Grausamkeit der eigenen Armee zertrümmert nicht nur die Ideale, sie lässt auch keinen fassbaren Feind mehr zu, so dass Terrien nur noch seine eigenen Dämonen bleiben. Die FLN taucht im gesamten Film nur in Gestalt schemenhafter Figuren in der Ferne auf, zumeist sind die algerischen Kämpfer gar nicht zu sehen. Langsam aber sicher übernehmen deswegen die Dämonen die Kontrolle über Terrien, dessen psychische Entwicklung gleichzeitig die französische Warnehmung auf den Algerienkrieg reflektiert, diesen Dämon, der lange Zeit als Polizeieinsatz verharmlost wurde. Terrien gegenüber steht Dougnac, der schon keine Ideale mehr besitzt, als Terrien in Algerien eintrifft. Faszinierenderweise gönnt Siri gerade ihm einen Ausstieg aus den komplexen Verstrickungen, da er schließlich Konsequenzen aus der Verlogenheit ziehen wird.

Neben der intelligenten Darstellung des persönlichen Dramas der Figuren, das über sich hinaus deutet, überzeugt der Film durch die vielen Details der komplexen Beziehungen, die in dem Krieg zu Tage traten. Auf Seiten der französischen Armee kämpften Algerier, die bereits im Zweiten Weltkrieg zusammen mit den Franzosen gegen die deutschen gekämpft hatten. Andere dieser Kämpfer traten der FLN bei, so dass es zu Auseinandersetzungen unter Landsleuten kam. Das taucht ebenso auf, wie die erschreckende Normalität der Folter verdeutlicht, dass ein Krieg, in dem es ganz zentral auch um Informationen geht, niemals in den Grenzen gerne verkündeter Standards ablaufen kann. Das gewinnt gerade in heutiger Zeit, in der gerne von gerechten Kriegen geredet wird, eine besondere Bedeutung.

Bildqualität

Das saubere Bild der DVD weist eine gute Schärfe auf, die sowohl viele Details als auch eine weitgehend klare Konturendarstellung besitzt. Leichte Unschärfen bei Wüstenaufnahmen am Tage können als Stilmittel angesehen werden, da hier die flirrende, gespenstische Atmosphäre zur Geltung kommen soll. Hier und da gibt es aber Doppelkonturen. Die Farbwiedergabe überzeugt durch die bräunlich-gelben Töne, welche dem visuellen Stil des Films entsprechen. In homogenen Flächen kommt es allerdings zu gut erkennbarem Blockrauschen.

Tonqualität

Die beiden 5.1-Spuren sind sehr gut geworden, da Geräusche aus allen Lautsprechern für eine entsprechend räumliche Atmosphäre sorgen. Am stärksten wird das natürlich bei den Kampfszenen deutlich, aber es gibt auch immer wieder schöne Toneffekte, wenn Panzerwagen von hinten nach vorne durch das Bild fahren. Die Dialoge sind ebenfalls klar und verständlich, da sie gut abgemischt wurden. Der deutsche DTS-Ton ist noch dynamischer.

Extras

Der Audiokommentar von Florent Emilio Siri (Regie) und Jean-Baptiste Thoret (Filmkritiker) hat die Qualität eines filmanalytischen Seminars, in dem vor allem der Regisseur Szene für Szene die einzelne dramaturgische Funktion sowie die eingesetzten Mittel näher beleuchtet. Dabei geht er wahlweise auf den Schnitt, die Musik, die Einstellungsgrößen- und Winkel oder andere Elemente ein. Aufgrund Siris enormen Mitteilungsbedürfnisses kommt Thoret lange Zeit kaum zu Wort schaltet sich nach gut 40 Minuten aber immer öfter ein.

Das Making Of (etwa 14 Minuten) beschäftigt sich in einem Rundumschlag jeweils kurz mit diversen Aspekten des Films (Kostüme, Musik, Spezialeffekte, etc.). Dabei kommt nicht nur Regisseur Florent Emilio Siri zu Wort, sondern Intimate Enemiesauch der Kameramann, Mitarbeiter des Effekte-Teams und andere ereläutern ihren jeweiligen Beitrag zum Film. Insgesamt bleibt es recht oberflächlich, bietet aber mehr als sonst übliche Making Ofs, da die Beteiligten ihre Bereiche besser erläutern können, als man dies sonst gewohnt ist. Das Interview mit Florent Emilio Siri (etwa 58 Minuten) führt ebenfalls Filmkritiker Jean-Baptiste Thoret. Die Aufbereitung ist vorbildlich geworden, werden doch die Antworten und Fragen soweit sinnvoll mit den jeweiligen Filmausschnitten im Splitscreen-Verfahren verknüpft, so dass sofort klar ist, wovon die Rede ist. Das Interview ist darüber hinaus ausgezeichnet, geht es doch auf zentrale Aspekte der Filmgestaltung sowie den historischen Hintergrund ein.

Das Interview mit dem Kameramann Giovanni Fiore Coltellacci (etwa 12 Minuten) besteht aus einem Gespräch Siris mit Coltellaci. Wie beim Audiokommentar dominiert Siri die ersten Minuten bevor sich der Kameramann frei schwimmt und seine Anmerkungen zum visuellen Stil zum Besten gibt, so dass auch dieser Beitrag sehr gut geworden ist. Das Interview mit dem Komponisten Alexandre Desplat (etwa 14 Minuten) geht auf den kompositorischen Stil in Verbindung mit der optischen Ausgestaltung des Films sowie dessen Handlung ein. Es wird sehr schön deutlich, welcher Gedankengänge für die Komposition maßgeblich waren.

In „Die Inspriation“ (etwa 15 Minuten) sitzen Florent Emilio Siri sowie Pierre Schoendorfer ein einem Kinosaal und unterhalten sich über Schoendorfers Film „Die 317. Sektion“ („La 317e section“, 1965), da dieser eine zentrale Inspirationsquelle für Siris „Intimate Enemies“ war. In dem Beitrag „Von der Doku zum Spielfilm“ (etwa 22 Minuten) berichtet Drehbuchautor Patrick Rotman, der zuvor eine Dokumentation über den Konflikt erstellt hat, über seine Recherche zum Algerienkrieg und bringt sie mit den einzelnen Ereignissen und Geschichten in „Intimate Enemies“ in Zusammenhang. Das Leinwandgeschehen wird so auf vorbildliche Weise in den historischen Kontext eingeordnet, der hierzulande nicht unbedingt jedermann bekannt ist.

„Von Schauspielern zu Soldaten“ (etwa 7 Minuten) bleibt mit seinen Interviewschnipseln einiger Nebendarsteller sowie Bildern von der Ausbildung der Darsteller bei der marokkanischen Armee relativ oberflächlich, zumal die Bilder kaum eine eigene Erzählkraft haben.

In „Stimmen von der Vorpremiere“ (etwa 12 Minuten) kommen ein paar Darsteller, der Regisseur Florent Emilio Siri und der Drehbuchautor Patrick Rotman zu Wort. Sie ordnen die Film in den gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozess des Algerienkrieges ein, so dass sich daraus ein sehenswerter Hintergrundbeitrag ergibt. Sehr gut ist noch einmal der Beitrag „Veteranen erzählen“ (etwa 15 Minuten), in dem drei Teilnehmer am Algerienkrieg den Bezug zwischen ihren Erlebnissen und Empfindungen zum fertigen Spielfilm herstellen. Ein sehr gute Flankierung des thematisch bedrückenden Films. Sieben Splitscreen-Vergleiche zwischen der jeweiligen Filmszene und dem Storyboard sowie der Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Intimate Enemies“ überzeugt als psychologisches Drama eines unbedarften Offiziers, der während des Algerienkriegs nach und nach seine geistige Unschuld verliert. Darüber hinaus gelingt Siri Dank exzellenter Bildsprache eine bedrückende Reflexion über den Algerienkrieg, welche nicht nur die Grausamkeiten in hypnotische, fast irreal wirkende Bilder übersetzt, sondern auch die fatale Gemengelage der einzelnen Parteien vortrefflich herausarbeitet. Technisch ist die DVD gut, das Bonusmaterial sehr gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel L' Ennemi intime (Frankreich 2007)
Länge 106 Minuten (Pal)
Studio Koch Media
Regie Florent Emilio Siri
Darsteller Benoît Magimel, Albert Dupontel, Aurélien Recoing, Marc Barbé, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DTS Deutsch, DD 5.1 Deutsch, Französisch
Untertitel Deutsch
Extras Audiokommentar von Florent Emilio Siri (Regie) und Jean-Baptiste Thoret (Filmkritiker), Making Of, Interview mit Regisseur Florent Emilio Siri, u.m.
Preis ca. 15 EUR
Bewertung sehr gut, technisch gut