Unter Emotionen

Nachtblende

Nachdem sein zweiter Film „Diabel“ (1972) in Polen verboten wurde, emigrierte Andrzej Zulawski nach Frankreich, um dort „Nachtblende“ zu drehen. Romy Schneider spielt darin eine Darstellerin, deren Karriere keine guten Zeiten erlebt. Um ihr Auskommen zu sichern, verdingt sie sich an billige Sexfilmproduktionen. Bei einem solchen Dreh schießt der Fotograf Servais unerlaubter Weise ein paar Aufnahmen von der Schauspielerin, die er nur durch einen Trick vor den Rausschmeißern des Filmteams verbergen kann. Aus Faszination sucht er die Frau zu Hause auf, wo er auch ihren Mann Jacques kennenlernt, der zu depressiven Schüben neigt. Eine Verabredung zwischen Fotograf und Schauspielerin am nächsten Tag endet mit unbeholfener Sprachlosigkeit, dennoch kann sich der Fotograf von der Faszination gegenüber der Schauspielerin nicht lösen. Er verschafft ihr mit geliehenem Geld die Rolle der Lady Anne in einer Theaterproduktion des Dramas „Richard III“, ohne dass sie um die Umstände ihrer Besetzung erfährt. Dadurch gerät Servais erneut in die Abhängigkeit zum schmierigen Mazelli, für den er bestimmte Leute bei organisierten Sexorgien fotografiert. Unglücklicherweise fällt die Theaterinszenierung bei der Kritik gnadenlos durch.

Klaus Kinski ist Karl-Heinz Zimmer, der in der Theaterinszenierung des Dramas „Richard III“ an der Seite der Schauspielerin zu sehen ist, die Romy Schneider mit einer Mischung aus Zerbrechlichkeit und Durchhaltevermögen verkörpert. Kinskis Figur nimmt innerhalb des Films eine Schlüsselposition ein, nicht weil sie so eng mit den drei Hauptfiguren Fotograf, Schauspielerin und deren Ehemann verbunden wäre, sondern weil sie eine Art Antithese zu emotional verzehrenden Liebe verkörpert. In einer zentralen Szene verprügelt Kinski erst einen Bargast, den er selbst provoziert hat, und schnappt sich dann dessen Begleiterinnen – zwei Prostituierte - mit den Worten „Wenn ihr genauso vulgär seid wie er, dann seid ihr mir gerade recht“. Mit einer Liebesdienerin je links und rechts im Arm zieht Kinski von dannen. Das ist männliche Dominanz, Potenz und Derbheit, die zu Wut, wilder Raserei und sexuellen Ausschweifungen fähig ist, aber den sicheren Hafen dadurch erkauft, dass sie sich gegenüber der Verletzungsgefahr durch bedingungslose Liebe abschottet.

Keine der drei Hauptfiguren nennt die Charakterzüge Karl-Heinz Zimmers ihr eigen. Wenn Sex etwas mit Geld oder Handel zu tun hat, dann ziehen sie sich zurück oder leiden. Als die Schauspielerin sich dem Fotografen anbietet, um eine Schuld zu begleichen, lehnt er das ab. Die heimlichen Fotos bei den Sexorgien widern ihn an. Gleich zu Beginn soll die Schauspielerin bei den Dreharbeiten des billigen Sexfilms „Ich liebe Dich“ sagen, währen sie auf dem blutüberströmten Filmpartner sitzt, vermag die Worte aber nicht überzeugend auszusprechen. Für ihren Ehemann scheint die gesamte Beziehung zu seiner Frau nur Teil eines Handels zu sein, weil er sie vor dem Absturz bewahrt hat. Ihm fehlt aber die Stärke sich zurückzuziehen und versinkt in der existenziellen Sinnkrise, die dadurch ausgelöst wird. Die bedingungslose, wahre Emotion, in der sich kein Handel, kein Geld und keine Abhängigkeit wiederspiegelt, ist es, was die Figuren in „Nachtblende“ suchen. Daran arbeiten sie sich ab, sie leiden, sie verkaufen sich selbst, sie gehen Irrwege, sie verzweifeln und scheitern, aber sie wenden sich nicht ab. Wie Schatten ihres Ideals laufen sie durch das üppige, dekadente Dekors der Araonovich'schen Bilder, die doch viel besser zum bourgeoisen Stil des durch Kinski verkörperten Karl-Heinz Zimmers passen. Als Fremdkörper in einer solchen Welt können sie kaum natürlich agieren. Deswegen lauert das Schauspiel hinter jeder Ecke, mal exaltiert und dann wieder entrückt, aber niemals im Reinen mit den sie umgebenden und auch im inneren beherrschenden Verhältnissen. Erst das Ende schließt den Kreis, so seltsam es auch erscheinen mag, mit einer neuen Perspektive.

Bildqualität

Als Vorlage für die DVD diente eine französische Kopie des Films, die in einem sehr guten Zustand ist. Dreckspuren oder Defekte treten fast gar nicht in Erscheinung. Das Bild ist über die gesamte Lauflänge etwas zu weich, so dass nur Nahaufnahmen ein gute Schärfe besitzen, ansonsten waschen die Konturen ein wenig aus. Die Farbwiedergabe ist weitgehend gelungen, nur an manchen Stellen wirken sie etwas ausgebleicht. Der Kontrast macht eine recht ordentliche Figur. Neben dem leichten Hintergrundrauschen treten keinen nennenswerten Rauschmuster besonders in Erscheinung. Insgesamt handelt es sich um einen guten Transfer, wenn man das Alter des Films berücksichtigt. Gegenüber früheren Veröffentlichung fällt die Qualität deutlich besser aus, da das Werk nun ungeschnitten und im Originalformat vorliegt.

Tonqualität

Die drei Tonspuren Französisch, Deutsch und Englisch unterscheiden sich vor allem durch die Intensität des Hintergrundrauschens. Während der französische Originalton davon nahezu verschont bleibt, ist in der englischen Fassung ein leichtes und die in der deutschen Synchronisation ein stärkeres Rauschen zu hören. Der deutsche Ton klingt heller als das Original, aber noch recht natürlich, während der englische Ton einen leicht blechernen Klang besitzt. Die Dialoge sind in allen drei Varianten gut zu verstehen, die französische Originaltonspur hat aber qualitativ die Nase vorn.

Extras

Die DVD enthält fünf Stücke des Soundtracks aus der Feder des französischen Komponisten Georges Delerue, die über das Menü aufgerufen werden können. Ein laufender Text beschäftigt sich mit dem Film „Nachtblende“, dem Regisseur Andrzej Zulawski sowie unter anderem den Schauspielern Romy Schneider, Fabio Testi und Klaus Kinski. Eine Bildergalerie und zwei Trailer runden das Bonusmaterial ab. Der PC-Part enthält zusätzlich Aushangfotos und Plakate in Druckqualität sowie den Film in einer Version für portable Abspielgeräte.

Fazit

„Nachtblende“ überzeugt als existentielles Melodram, dessen exaltierte Übersteigerung, das üppige Dekor und die teilweise unnatürliche Darstellung im Dienste einer aus den Fugen geratenen emotionalen Situation stehen. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel L'Important c'est d'aimer (Frankreich 1974)
Länge 108 Minuten (Pal)
Studio New Entertainment World
Regie Andrzej Zulawski
Darsteller Romy Schneider, Fabio Testi, Jacques Dutronc, Klaus Kinski, u.a.
Format 1:1,78 (16:9)
Ton DD 2.0 Mono Deutsch, Französisch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Soundtrack, Trailer, u.m.
Preis ca. 15 EUR
Bewertung sehr gut, technisch gut